Monster Truck

Foto: Sebastian Hoppe
Foto: Sebastian Hoppe

EVERYTHING IS FLUX

Inspiriert von H. G. Wells Science-Fiction-Roman Die Zeitmaschine begibt sich das Performancekollektiv Monster Truck gemeinsam mit den Zuschauern auf die Reise in eine ferne Zukunft. Wir schreiben das Jahr 802.701. Die Menschheit hat sich selbst überlebt. Nach einer durchzechten Nacht streiten sich Lohengrin und Minniemaus um das letzte Taxi ins Eldorado. Im Schatten der Freiheitsstatue tragen Menschen und Tiere ein finales Gefecht in den Katakomben der untergehenden Zivilisation aus. Das Taximeter rast mit Karacho; der Kofferraum ist voll mit Bassboxen und Mailänder Salami.
Monster Truck beschreibt mit Everything is Flux Redux die Suche nach der Neuen Welt in der Zukunft, nachdem alle Territorien verteilt sind. Zum Raum wird hier die Zeit; die Fahrt ins Ungewisse kann von neuem beginnen!
Von und mit: Alice Ferl, Margo Galas, Manuel Gerst, Anton Kaun, Bülent Kullukcu, Matthias Meppelink, Kris Merken, Sahar Rahimi, Marcel Schwald (Redux-Version), Ina Vera Dramaturgie: Philipp Schulte, Christina Zintl Musik: Bülent Kullukcu, Matthias Meppelink (Redux-Version)
Premiere: 22.3.2009 Schauspiel Düsseldorf/Central
Premiere Redux-Version: 26.4.2010, Mousonturm Frankfurt/Main
Koproduziert vom Schauspielhaus Düsseldorf und HAU Berlin, gefördert vom NRW KULTURsekretariat und der Kunststiftung NRW aus Mitteln des Fonds Experimentelles Musiktheater

Düsseldorf ist ARTig von Katja Panyutina

Wenn die Show schon beim Einlass beginnt…
Dass Monster Truck die Surreal-Endzeit-Science-Fiction-Mischung auf der Bühne perfektionieren, weiß man schon seit ihrem Theaterstück „Comeback“. Dass sie diese Welt auch ohne Worte vollkommen real wirken lassen, auch. Und doch gelingt es ihnen und Bülent Kullukcu, mit „Everything is flux“ noch einen draufzusetzen. Wie? Indem sie die Zuschauer gleich zu Beginn in das bildgewaltige Abenteuer der „untergehenden Zivilisation“ entführen und sie im wahrsten Sinne des Wortes daran teilhaben lassen.
Zu etwa 10 Leuten betreten wir einen kleinen dunklen Raum, der sich als Gefährt entpuppt. Nach einer kurzen Irrfahrt werden wir in der Zukunft herausgelassen – in einem großen, dunklen Käfig, mit Gitter als Decke. Die Zuschauer wirken in dem fahlen Licht gespenstisch und fremd. Sie wandern durch den Raum und schauen gebannt nach oben. Denn über ihnen baumeln nicht nur leckere Trauben von der Decke. Oben auf dem Gitter kriechen weiß gekleidete Wesen herum, fahren mit ganz viel Krach Dreirad, gießen Wasser in ein Plastikbecken und beobachten uns. Nach einem leisen und neugierigen „Psst … Hallo!“ wird uns auch schon mal eine Wurst zugesteckt, die manche Zuschauer sofort probieren oder zum späteren Verzehr in der Tasche verstauen. Gerade noch Zuschauer und nun selber Attraktion – verstörend und spannend zugleich. Doch wir erfahren nicht nur Neugier, sondern auch ganz viel Gleichgültigkeit: In das Plastikbecken setzt sich ein Halbnackter und beginnt so zu baden, dass die Unglücklichen in der Nähe des Beckens von oben herab nass gespritzt werden.
Zwei Welten – unten und oben, wie in H.G Wells’ Roman „Die Zeitmaschine“, der als Grundlage für das Stück dient. Der Lebensraum der mechanisierten Morlocks in den Katakomben und die Welt der naiven Elois auf der Erdoberfläche – die Rollen sind aber nur scheinbar klar verteilt. Die Eigenschaften der zwei Welten aus dem Roman sind hier völlig verwoben, genauso wie die Rollen „Zuschauer – Schauspieler“. Was unten und was oben ist, wer Zuschauer und wer der Beobachtete ist, ändert sich je nach Blickwinkel.
Wer nun aber glaubt, das ganze Stück im Käfig verbringen zu müssen, der irrt. Denn Rettung naht! Begleitet von lauter, rhythmischer Musik, erscheint (als Anspielung auf die Figur Lohengrins, des Ritters auf dem Schwan) eine kampfbereite Heldin auf einem Schwan aus dem Nebel, oder besser gesagt, wird auf einem fahrbaren Schwan in den Raum gekarrt, was in Kombination mit ihrer versteinerten Miene einfach urkomisch aussieht. Sie klettert über eine Falltür nach oben (Aha, es gibt einen Durchgang!) und kämpft mit dem Badenden, sodass die Unglücklichen unten erneut mit Wasser überschüttet werden. Doch der Sieg der Ritterin führt zu unserer Befreiung und wir dürfen auf Bänken vor der Bühne Platz nehmen, um nun die ganze zweistöckige Konstruktion und das Stück als richtiger Zuschauer zu erleben. Spätestens da fällt einem auf, dass man voll ist mit Konfetti, das im Käfig verstreut wurde …
Und das Stück? Tja, unsere Befreierin herrscht auch nicht besser als ihr Vorgänger. Schließlich kommt sie von unten aus den Katakomben – kann das gut gehen? Durch sie gerät die zweigeteilte Welt vollkommen aus den Fugen, bis alles untergeht, und sie in einem Kleid aus waschechten Salamischeiben und mit einer Glühbirne in der erhobenen Hand, als eine Art Freiheitsstatue aus Fleisch vor den Zuschauern steht. Ihr Ende lässt auch nicht lange auf sich warten: Drei echte Hunde kommen angelaufen und fressen das Kleid, und somit die Heldin selbst an (vermutlich als Anspielung auf den Kannibalismus in Wells’ Roman). „Everything is flux“ eben, alles befindet sich in einem ständigen Fluss. Alles strömt in eine Richtung – und die Menschheit ihrem Untergang entgegen.
Eine verrückte Aufführung, die trotz etwa nur einer Stunde Spielzeit voller Leben ist, nicht zuletzt dank der Einbindung der Zuschauer. Surreal und oft urkomisch, spricht sie eher das Gefühl und alle fünf Sinne an (das Salamikleid riecht man von weitem), und lässt am Ende ganz viele Fragen offen – aber wofür hat man seine eigene Fantasie? Man würde nun Seiten brauchen bei dem Versuch wirklich zu interpretieren, so voll gepackt ist es mit Einfällen verrücktester Art. Deshalb nur so viel dazu: Wie kommt man auf die Idee, Mausohren aus runden Lausprecherboxen zu basteln, die dann auch noch als lebensrettender Defibrillator zum Einsatz kommen?
Was wünscht man sich also mehr von einem „Musiktheaterspektakel“?

Gießener Allgemeine Zeitung von Anna Teuwen

Monster Truck macht im Mousonturm Musiktheater
Das Kollektiv Monster Truck macht Musiktheater: Die Performance »Everything is Flux Redux« rauschte durch den Frankfurter Mousonturm.
Man kennt das Theater, in- und auswendig, frontal oder von den Seiten, und manchmal auch von hinten. Aber wie sieht es eigentlich von unten aus? Im Frankfurter Mousonturm wurde das Publikum, grüppchenweise in einer dunklen Box aus dem Foyer in den Bühnenraum gerollt und fand sich schließlich in einer Art mannshohem Käfig wieder, auf dessen Gitterdach sich wundersame Szenen ereigneten. Da rollten, radelten und randalierten fünf Gestalten mit Schulranzen und Mickey-Maus-Ohren aus Lautsprecherboxen zentimeternah über den Zuschauerköpfen, es wurde staubgesaugt und Bier hinaufgeangelt, hinabgereicht wurden im Austausch rätselhafte Botschaften auf Papierröllchen, dazu Würstchenketten, Karotten und Weintrauben.
Das Performancekollektiv Monster Truck, das hier am Werk ist, wurde 2005 in Gießen von Studierenden des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet, mittlerweile lebt und arbeitet die Gruppe in Berlin. Zahlreiche Performances und Installationen haben sie mittlerweile entwickelt und an renommierten Spielstätten und Festivals in ganz Deutschland gezeigt, charakteristisch ist die bildgewaltige Ästhetik; ferne Fantasiewelten zwischen Bombast und Trash.
Die Arbeit »Everything is Flux« entstand im Frühjahr 2009 als Förderprojekt des Fonds Experimentelles Musiktheater für das Düsseldorfer Schauspielhaus. Mit der Initiative werden Künstler zu spartenübergreifender Arbeit ermutigt - Monster Truck arbeitete mit einem Komponisten zusammen. Mittlerweile gehen sie wieder getrennte Wege; am Mousonturm zeigte die Gruppe nun erstmals eine neue Version der Arbeit mit der Ergänzung »Redux« im Titel, mit eigenen Tönen und in anderer Besetzung. Auf der Bühne standen neben dem aktuellen Stamm des Kollektivs (Manuel Gerst, Matthias Meppelink, Sahar Rahimi und Ina Vera) die beiden Gäste Alice Ferl und Marcel Schwald.
Das Bewusstsein für Klang und die Musikalität von Szenen blieb erhalten und wurde sorgfältig ausgebaut. Die Inszenierung ist wortlos, der ausgeteilte Liedtext zu Vangelis’ »Conquest of paradise« schreibt strophenweise die rhythmisch gemurmelten »Ms« vor - die Musik wird zum Medium der Kommunikation. »Everything is Flux« ist von H. G. Wells Science-Fiktion-Roman »Timemachine« inspiriert - frei assoziiert man eine Reise durch die Zeit, sieht seltsame Wesen in verwirrenden Handlungen agieren, vergleicht oben und unten, denkt an Metropolis und Ähnliches und rätselt über die eigene Rolle im Geschehen. Wird man gemästet? Oder gefangen gehalten?
Derweil haben die Akteure eigene Probleme: Es wird gekämpft, ein König stirbt in einer Wanne voll Blut, ein Held wird neben einem Haufen Kassettenrekorder begraben. Schließlich ein rettender Ritter im hellblau gestrickten Kettenanzug auf einem verwahrlosten weißen Wasservogel, grob durch die Zuschauer gezerrt, die endlich aus ihrem Käfig entlassen werden und die Installation von außen umkreisen können.
Eine Freiheitsikone im Wurstscheibengewand führt mit einer Glühbirne in die neue Welt. Es bleiben drei erschöpfte Gestalten, die auf Schultüten ein heulendes Wolfskonzert tröten. Zitate, Samples und Kommentare sind weder zu übersehen noch zu überhören: Monstertruck macht Musiktheater - und so sieht es auch aus. Mein lieber Schwan!
Das Ganze mit einer Wagner-Oper zu verwechseln, ist aber nicht zu befürchten, dabei trägt das Spektakel durchaus Züge eines Gesamtkunstwerks - gigantisch, gewaltig, vereinnahmend und verausgabend.

www.op-online.de/nachrichten/kultur von Stefan Michalzik

Geisterbahn im Theatersaal
Frankfurt - Von dieser Theaterarbeit zu berichten bedeutet, jedem Besucher einer künftigen Vorstellung die Spannung zu nahmen. „Everything is Flux Redux“, die neue Arbeit des Theaterkollektivs Monster Truck im Frankfurter Mousonturm, baut auf Überraschungsmomente. Von dieser Theaterarbeit zu berichten bedeutet, jedem Besucher einer künftigen Vorstellung die Spannung zu nahmen. „Everything is Flux Redux“, die neue Arbeit des Theaterkollektivs Monster Truck im Frankfurter Mousonturm, baut auf Überraschungsmomente.
Der Beginn erinnert an eine Fahrt in der Geisterbahn. Das Foyer ist nebelverhangen, ein maskierter Türw.rter gewährt grüppchenweise Einlass. Zu zehnt findet man sich wieder in einer düsteren Kabine, die über einen Parcours zu einer Zielstation in ferner Zukunft führt. H.G. Wells’ „Zeitmaschine“ stand Pate. Wir schreiben das Jahr 802701 und sehen uns eingepfercht in ein Verlies. Auf dem Gitterboden über den Köpfen fahren merkwürdige Wesen mit Rollwagen und Dreirädern umher. Sie geben sich als freundlich zu erkennen. Weintrauben sind aufgehängt, Ketten mit Cocktailwürstchen werden durch die Gitter gereicht.
Irgendwann stellt sich heraus, dass es keine friedlichen Verhältnisse sind, unter denen dort oben gelebt wird. Es gibt Herrscher und Beherrschte und so etwas wie Gladiatorenkämpfe. Dann fallen die Wände, wir können frei umhergehen. Eine wandelnde Freiheitsstatue tritt in Erscheinung, in einem Kleid aus Salamischeiben. Im Foyer warten fünf hungrige Hunde mit ihren in Andenponchos gehüllten Haltern.
Eine Abenteuerreise im Theatersaal. Ansprechend, durchaus. Und deutungsoffen. Mit Musiktheater hat es nichts zu tun. Die technoide Musik von Bülent Kullulci verhält sich wie ein Soundtrack, die stoffliche Grundlage erscheint dünn. Auf den ersten Blick jedenfalls.

Deutschland-Radio von Dina Netz

Monster Truck agierte ohne Vorhang, dafür mit einem Käfig für die Zuschauer.
"Everything is flux" von Monster Truck im Central des Schauspielhauses Düsseldorf
Inspiriert von H.G. Wells' Roman "Die Zeitmaschine" schickt das Performance-Kollektiv "Monster Truck" die Zuschauer auf eine Reise zum Ende der Zivilisation. Dabei wird kein politisches Thesen-Theater geboten, sondern Trash-Unterhaltung vom feinsten. Gräbt die neue Spielstätte "Central" des Düsseldorfer Schauspielhauses jetzt der freien Szene das Wasser ab?
Man muss ein bisschen leidensfähig sein bei "Everything is flux" von Monster Truck und Bülent Kullukcu in Düsseldorf: Man wird nass, mit Konfetti beworfen, eingesperrt, eingenebelt und mit etwas Pech pitschnass. Und trotzdem ist die zweite Uraufführung an der neuen Spielstätte "Central" des Düsseldorfer Schauspielhauses ein hochamüsanter Abend.
Das Publikum steigt ein in eine Geisterbahn, Knochen hängen am Eingangstor, man soll seine Wertsachen abgeben. Die Zuschauer werden zu zehnt in einen schwankenden, engen Wagen verfrachtet, der sie wie eine Zirkusattraktion zur Bühne fährt. Genauer: in den unteren Teil der Bühne, der ein Käfig ist. Ein Kasten mit vergitterter Decke, von der Trauben und Wurst herabhängen. Nach kurzem Zögern greifen einige hungrige Zuschauer beherzt zu. Wir sind die "Morlocks", die Unterweltler in H.G. Wells Roman "Zeitmaschine", von dem der Abend inspiriert ist. Auf dem Gitter bewegen sich die Elois, die Oberweltler, also die Darsteller von Monster Truck. Sie dienen dem "Schwanenheld", der in der Wanne sitzt und planscht (und die Unterwelt daran teilhaben lässt) und mit Trauben und Sekt verwöhnt werden will. Manchmal nehmen die Elois Kontakt zu den Morlocks auf, aber nur kurz. Man fühlt sich wie im Zoo, nur auf der falschen Seite der Absperrung. Doch dieses beklemmende Gefühl wird überwogen von der Neugier auf das, was Monster Truck und Bülent Kullukcu sich noch haben einfallen lassen.
Nach einer halben Stunde (und damit auch schon der halben Vorstellung) entlassen sie das Publikum in eine geradezu traditionelle Zuschauersituation und spielen allein weiter. Der Schwanenheld wird von einer Ritterin (der "Schreckensherrscherin") entmachtet. Doch auch sie kommt im letzten Bild mit einem Reifrock aus Wurstscheiben auf die Bühne und wird von drei Hunden angefressen. "Den Letzten beißen die Hunde", signalisiert wohl diese nicht sehr subtile Bildhaftigkeit. Aber Monster Truck haben es gern eher derb und deftig. Die Menschheit ist an ihrem Ende angelangt, erzählen sie so, und sie kann sich nicht mehr retten, eine Herrschaft ist so schlimm wie die andere.
Aber dies ist kein politisches Thesentheater, sondern gerade das Gegenteil: eine politische Idee nur als Ausgangspunkt für einen Bilderreigen, der ganz ohne Worte auskommt und nur von Musik rhythmisiert wird. Da werden Schultüten zu Alphörnern, Boxen zu Mickeymausohren und, eben, Wurstscheiben zu Blumenmustern. "Everything is flux" ist eine Abfolge von drastischen tableaux vivants, wunderbarer Theater-Unfug, albern und trashig. "Musiktheaterspektakel" nennt das Düsseldorfer Schauspiel die Produktion, aber die Musik hat allenfalls begleitende Funktion. Sie rhythmisiert die Szenen, unterstreicht die Stimmungen, geht aber nie über den reinen Soundtrack hinaus. "Theaterspektakel" träfe es wohl besser. Die Einweihung der neuen Spielstätte "Central" des Düsseldorfer Schauspielhauses für experimentelle Theaterformen ist natürlich erfreulich, jedes Mehr an Theater ist es. Sie verweist aber auch auf ein sich in den vergangenen Jahren beschleunigendes Phänomen: Möglicherweise wird im "Central" künftig das gezeigt, was bisher in der freien Szene zu sehen war, deren Protagonisten ohnehin immer schneller von den städtischen Theatern absorbiert werden. Im Februar erst waren Monster Truck mit "Comeback" zu Gast im Forum Freies Theater, der wichtigsten Spielstätte für die freie Szene in Düsseldorf. Nun, nur einen Monat später, sind Monster Truck schon angekommen im Düsseldorfer Schauspielhaus - wenn auch durch die Kooperation mit dem Fonds Experimentelles Musiktheater, der immer freie Gruppen mit städtischen Theatern zusammenbringt. Dennoch: Die freie Szene in Düsseldorf sorgt sich, ob ihr das "Central" nicht künftig das Wasser abgraben wird. "Everything is flux" von Monster Truck und Bülent Kullukcu Premiere am 22.3.2009 im Central des Schauspielhauses Düsseldorf