Monster Truck

Foto: Paula Reissig
Foto: Paula Reissig

Phaedra

MOTHER loves SON // SON loves MOTHER // She wants him and no other // SON says NO to show his dick // That's what makes his MOTHER sick // MOTHER says bye and rips her tummy // SON dies car crash, last word MOMMY!

Monster Truck begeben sich in die Untiefen verbotener Liebe, kindlicher Splatterfantasien und familiärer Abhängigkeitsverhältnisse: Im Setting eines 80er-Jahre-Horrorfilms und inspiriert durch die #metoo Debatte erzählen sie ihre eigene Version des Liebes- und Rachemythos mit schauerlichem Ausgang.

MIT Paul Hoffmann-Wellenhof, Paul Ridder, Lucy Wilke REGIE Monster Truck DRAMATURGIE Kris Merken SOUND Alice Ferl SPECIAL EFFECTS Stine Hertel TECHNISCHE LEITUNG Joscha Eckert REGIEASSISTENZ Chiara Kastner PRODUKTIONSLEITUNG ehrliche arbeit - freies Kulturbüro

Eine Produktion von Monster Truck in Koproduktion mit Münchner Kammerspiele, Forum Freies Theater Düsseldorf und Sophiensaele. Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und den Fonds Darstellende Künste e.V.

 

Elena Philipp: "Das Schreien der singenden Säge", Berliner Morgenpost, 9.2.2019

Die Performance-Gruppe Monster Truck mit „Phaedra“ in den Sophiensaelen

Am Anfang ist die Gruselschöpfung: Sacht blendet ein Scheinwerfer auf, Tannen schälen sich aus tiefem Schwarz, verkehrt herum aufgehängt wie ein morbides Mobile. Nebel, im Score schreit eine singende Säge, auf dem Boden feuchtes Glänzen: Blut!

Lustig wird das Horror-Setting, das die Performance-Gruppe Monster Truck als Prolog zu ihrer Premiere „Phaedra“ erschafft, als zwei Krähenattrappen mit lautem Motorsurren von der Decke gelassen werden und sich ausführlich, aber unverständlich unterhalten: „Krah“ – „Rah“. Schnitt, blendendes Arbeitslicht, ein Junge im hellen Hoodie, mit Putzeimer, Wischmopp und riesigen reinweißen Turnschuhen versucht so konzen­triert wie vergeblich, die Blutpfütze aufzuwischen.

Stopp, was ist hier los, war nicht „Phaedra“ am Donnerstagabend angekündigt? Monster Truck stellen die Geduld auf die Probe und das Theater als Maschinerie zum Abspulen von Klassikern infrage. Subkutan schleicht sich die Inszenierung aber längst heran an die Themen des antiken Mythos: tabuisierte Liebe und familiäre Gewalt. Königsgattin liebt Stiefsohn, wird zurückgewiesen, bringt sich um und zieht ihn durch falsche Anschuldigungen im Abschiedsbrief mit ins Verderben.

Brutal und mythengetreu brechen Monster Truck denn auch den Boden aus einem scheinbar heilen Familienleben. Auf einer Matratze liegend, wird Lucy Wilke von Paul Welle in der Blutpfütze drapiert: Beine auseinander, Nachthemd hoch. Was eine übergriffige Enthüllung ihres wehrlosen, da von ihr muskulär nicht ansteuerbaren Körpers sein könnte, wird zur erotischen Szene, die sie selbst dirigiert: die Kamera soll Welle auf sie richten, seine Hose ausziehen, und dann – „Techno!“ – mit kräftigen Stößen einen Sexualakt markieren. Wie aufregend!

Eine Schauspielerin darf nicht nur ohne idealgeformten „Normalkörper“ eine Sexszene spielen – sie ist sogar ihre eigene Regisseurin! Ist diese Szene das heutige Äquivalent zum antiken Tabubruch? Mit Fragen wie dieser entlässt Monster Truck das Publikum aus der assoziativ verknüpften Szenenfolge. „Phaedra“ ist eine böse Familien-Splatter-Fantasie.

 

Georg Kasch: "Tatort oder Spielplatz?", Nachtkritik, 7.2.2019

Kunst ist etwas für Voyeure. Marcel Duchamp hat das gewusst, als er sein letztes großes Werk schuf, "Etant donnés: 1° la chute d’eau / 2° le gaz d’éclairage". Im Philadelphia Museum of Art kann man es nur durch zwei Löcher in der Wand betrachten, sieht dann einen Frauenakt, der einem in einer giftig leuchtenden Landschaft auf eine höchst merkwürdige Art seine offenen Schenkel entgegenstreckt. Was ist hier passiert? Ein Liebesakt? Eine Vergewaltigung? Ein Mord?

Auch Theater ist etwas für Voyeure. Monster Truck wissen das. In Gießen gegründet und lange schon in Berlin beheimatet, gehören sie zu denjenigen im Performance-Geschäft, die einen selten kalt lassen. Man ärgert oder wundert sich oder hat seinen Spaß, wenn sie mit der Erwartungshaltung des Publikums spielen oder einem ihre Rätselbilder provokativ langsam vor die Füße puzzeln. Schon mehrfach haben sie den Theaterbegriff auf seine Dehnbarkeit überprüft, etwa als sie Performer*innen mit Downsyndrom als Mongolen oder Regisseur*innen inszenierten (beziehungsweise sie inszenieren ließen – aus diesen Uneindeutigkeiten entstehen die Spannungen), verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu Schauspielern erklärten und Operninszenierungen sowie Eishockeyspiele zu Readymades.

Wer verführt, wer missbraucht?

In "Phaedra" an den Berliner Sophiensälen erzählen sie jetzt vom uneindeutigen Feld zwischen Liebe, Abhängigkeit und Missbrauch, übernehmen dazu von der titelgebenden Königin, die unerwidert den Stiefsohn liebt, nur die Grundkonstellation von Macht und Begehren, die ungleich verteilt sind.

Etwa in der entscheidenden Szene, in der die Performer*innen Lucy Wilke und Paul Welle Duchamp nachstellen. Er hebt ihren Körper aus dem Rollstuhl, drapiert ihn vorsichtig auf eine Matratze, die mitten in einer Blutlache liegt. Sie gibt die Anweisungen: Zieh mein Kleid hoch bis über die Brust. Stell meine Knie auf. Drück mir die Lampe in die Hand. Zoom mit der Kamera auf mich. Leg dich zu mir. Fahre mit Deinen Händen über meine Brust, meinen Körper. Technik: Techno bitte! Und dann rammelt Welle an ihr herum, bis er wortlos abgeht.

Was ist hier zu sehen? Dass dieser Körper kein normschöner ist, sondern einer, dem wir eine Behinderung zuschreiben, macht die Sache so ambivalent – und uns in besonderer Weise zu Voyeuren. Wer verführt, wer missbraucht wen? Wilke Welle, weil sie ihn wie einen (Pflege-)Assistenten zu ihrem verlängerten Arm macht, dabei intime Grenzen überschreitet? Oder Welle Wilke, weil er nirgends Halt macht? Oder liegt die Grenzüberschreitung nur im Auge der Betrachter*innen, weil wir Menschen mit Behinderung oft weder eine Sexualität noch künstlerische Autonomie zugestehen?

Liebesszene? Pietà? Kinderspiel?

Monster Truck haben Expertise mit derlei Provokationen. Wie immer legen sie ihre Werkzeuge offen. Etwa zu Beginn, als sie einerseits Film-Grusel etablieren: Synthesizer wabern wie der Nebel, in dem Tannenbäume kopfüber an einem Mobile kreisen; zwei Krähen senken und heben sich an dünnen Fäden – ist das ein Vogelkrächzen oder schon ein menschliches Stöhnen? Andererseits ist es gleichzeitig sehr komisch, wie der kleine Paul Ridder so tapfer wie ergebnislos in der großen Blutlache herumfeudelt.

Dann kommen Wilke und Welle mit Mäusemasken auf dem Kopf und spielen drei Mal den abgewandelten Text einer Zeichentrick-Kinderserienfolge "Peppa Wutz" durch: Nach dem Pfannkuchenbacken geht’s noch zum Versteckspielen. In ihren künstlich hochgepitchten Stimmen schwingt bei aller aufgekratzten Kindlichkeit Bedrohung mit. Bei jeder Wiederholung wird der Dialog düsterer, ernster, verlagert sich der Bedrohungsfokus: Ist es anfangs die Mutter, die ihren Sohn wie eine Sirene verführt, in die Ecke drängt, klingt der Sohn bald aggressiver, fordernder. Immer aber landet ihre Schnauze in seinem Schritt. Später, ohne Masken, hebt Welle Wilke aus ihrem Rollstuhl, setzt sich mit ihr auf dem Schoß selbst hinein. Eine Liebesszene? Eine Pietà?

Am Ende zieht Welle Wilke auf ihrer Matratze ins kleine Glashaus, das auf der Bühne steht. Phaedras Selbstmord ist nur noch technische Finesse, ein Splatterzitat. Wer hier Opfer, wer Täter ist, ob es überhaupt ein Verbrechen gab, bleibt so offen wie bei Duchamp. Schließlich setzt sich Paul Ridder selbst die Mäusemaske auf, schnappt sich die beiden Krähen und geht mit ihnen anrührend noch einmal die Pfannkuchenszene durch. Könnte also auch sein, dass das alles nur Kinderspiel gewesen ist.