Monster Truck

Regie 2

In Regie (2014) Monster Truck handed the reins of the performance to three people with Down syndrome – and by doing so instigated fervent discussions about responsibility, authorship and logics of production in theatre. In Regie 2 the artists’ collective takes this concept of transference of artistic responsibility to the extreme: In a grand spectacle full of emotion, exhilarating music and grandiose effects, a performance bursting with energy is born which at its climax irrevocably dissolves itself!

Produced by: Marcel Bugiel, Manuel Gerst, Sahar Rahimi, Mark Schröppel, Ina Vera Production Managment: ehrliche arbeit - freies Kulturbüro
A production by Monster Truck. Co-produced with No Limits Berlin and SOPHIENSÆLE. Supported by funds from the Hauptstadtkulturfond.

Benjamin Hoesch: "Kritik als Praxis der Entunterwerfung in "Regie 2" von Monster Truck" (in: "Theater als Kritik", Olivia Ebert / Eva Holling / Nikolaus Müller-Schöll / Philipp Schulte / Bernhard Siebert / Gerald Siegmund (Hg.), 2018, Transcript Verlag)

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In "Regie 2" erklärt das Theaterkollektiv per Textprojektion, heute auf die Präsentation einer eigenen Regiearbeit zu verzichten, und bittet stattdessen das Publikum, das Theater zu verlassen, um in bereitstehenden Bussen zum Besuch einer Vorstellung gefahren zu werden, die andere Regisseure verantworten. Unterwegs erhalten die Zuschauer*innen Tickets für die "Night of the Jumps – Freestyle Motocross Championship" in der gut besuchten Münchner Olympiahalle und mischen sich unter ein dreieinhalbstündiges Massenevent zwischen dramatisiertem sportlichen Wettkampf und grellem Showspektakel – ohne weiteren Eingriff oder Kommentare seitens Monster Truck. Die spätabendliche Rückkehr zum Theater markiert das Ende von "Regie 2". Im anschließenden Publikumsgespräch äußert das Kollektiv offen, dass Erschöpfung und Faulheit nach den letzten anstrengenden Theaterarbeiten eine zentrale Motivation in dieser Konzeptionierung gewesen seien. Man habe sich gefragt, welchen minimalen Eigenaufwand eine Regiearbeit zu leisten habe, um noch als solche bezahlt zu werden, und die Prinzipien des "Readymades" und der "Inklusion" auf kulturelle Aufführungen übertragen – nachdem man aufgrund der früheren Zusammenarbeiten mit Schauspieler*innen mit Down-Syndrom in "Dschingis Khan" (2012) und "Regie" (2014) als inklusives Theaterkollektiv angekündigt war. Monster Truck nehmen damit reflexiv-spielerisch Bezug auf ihre Subjektivierung als Nachwuchskünstler*innen und die Arbeitsbedingungen, die hinter dieser stehen. 

Kritik üben sie dabei als eine „Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit“ (Foucault, Michel: "Was ist Kritik?" Berlin 1992, S. 15) in der sehr explizit „stilisierte[n] Beziehung auf die an sie gerichtete Forderung“, deren „Stil nicht im Voraus gänzlich festgelegt ist“, sondern „eine Kontingenz beinhaltet“ (Butler, Judith: "Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend", in Jaeggi/Wesche, 2009, S. 236). "Regie 2" gibt die Behauptung einer autonomen künstlerischen Praxis auf und die inszenatorische Verantwortung und Kontrolle selbstbestimmt ab. Dafür nutzt das Konzept parasitär die Produktivität des spätkapitalistischen Unterhaltungsspektakels, testet damit den Modus institutioneller Öffnung und zugleich die Vereinnahmungsfähigkeit des Theaters, dessen sozialer Rahmen und Betrieb auf seine Unterscheidbarkeit und Widerständigkeit gegenüber der Kulturindustrie befragt wird. Monster Truck gelingt ein Akt der „Entunterwerfung“ (Foucault, 1992, S. 15; Butler, 2009, S. 224) in einer Verweigerung künstlerischer Arbeit, die produktiv und damit öffentlich präsentierbar – sowie entlohnbar – bleibt. Sie können damit die Privilegien, die das Nachwuchsfestival bietet, in Anspruch nehmen und gleichzeitig die Evaluation von existentiellem Bestehen im Wettbewerb von sich selbst auf die Institution und das soziale Feld des Theaters zurückwerfen. Diese Kritik weitet die Frage künstlerischer Produktion und ihrer öffentlichen Wahrnehmung und Bedeutung vom Problem der subjektiven Leistungsfähigkeit einer Nachwuchsgeneration zum gemeinsamen, ergebnisoffenen Projekt von Institutionen, Künstler*innen und Publikum. 

Ich möchte mit diesem Beispiel nicht sagen, dass Selbstreflexion, Verweigerung und freiwillige Entautonomisierung gleichsam die Rezepte für eine Entfaltung von Kritik jenseits ihrer Einhegung durch Nachwuchsfestivals seien. Dass jedoch das Möglichwerden dieser Prinzipien in der Konzeption und im künstlerischen Ereignis von "Regie 2" Verschiebungen zum Dispositiv bewirkt und dabei einen flüchtigen Bezug zur Utopie ursprünglicher Freiheit herstellt – Foucault würde sagen: Auch davon habe ich nicht gesprochen, „aber ich will es nicht absolut ausschließen“ (Foucault, 1992, S. 53).

Mathias Hejny: „Theatralisches Down-Syndrom“, Münchner Abendzeitung, 25.4.2016

Die erwarteten und angekündigten Drei mit Down-Syndrom zeigen sich nicht auf der Bühne. Sondern die Vorstellung beginnt mit einem Text auf einer großen Projektionsfläche und dem Geständnis darauf, dass sie eigentlich kein Stück über Behinderung zeigen wollen: „Wir möchten lieber gar kein Stück zeigen“, heißt es weiter. „Wir möchten Sie lieber bitten, in ein anderes Stück zu gehen, in ein anderes Stück in einem anderen Theater“. Die Berliner Truppe Monster Truck hat scho alles vorbereitet: Draußen vor dem Volkstheater warten zwei Reisebusse, die das Publikum an einen anderen, unbekannten Ort fahren. Auch dort bleiben Sabrina Braemer, Jonny Chambilla und Oliver Rincke unsichtbar. Statt der Schauspieler, die mit ihrem Publikum vor allem mit mal lustigen, mal lästigen Provokationen das Unbehagen, sich „Mongoloiden“ unterhalten zu lassen, um die Ohren zu schlagen, sind jetzt drahtige Motorradfahrer auf ihren fliegenden Hobeln zu sehen. Als Vorspiel zu einer Stuntshow kracht und glitzert überwältigende Pyrotechnik in einer sandigen Arena mit steilen Rampen. Das hätte das Volkstheater nie hinbekommen. Es gibt auch keine hysterisch kreischenden Schauspieler, wie sie zur Zeit State of the Art sind, sondern hier sind es hoch drehende Zweitaktmotoren, die kreischen. Und statt Zuschauer anzurempeln und zu lächerlichem Mitmachen zu nötigen, huldigt der Moderator aufgeregt hyperventilierend seinem Auditorium: „Ihr hier in München seid die Geilsten!“ Es ist die „Night Of The Jumps“ in der Olympiahalle, die ohne Wissen des Veranstalters auch eine Vorstellung von „Regie 2“ im Rahmen des Festivals „Radikal jung“ ist.

Teil 1 von „Regie“ lief im vergangenen Jahr und trieb an einem langen, weitgehend strukturfreien Abend Schabernack mit den Machtfragen von Theaterregie und Regietheater. Wer ist es, der Regie führt und dürfen das auch Behinderte? In der Fortsetzung gibt Monster Truck nicht nur die Regie, sondern die vollständige Verantwortung für die Darbietung ab. Beim Festival „No Limits“ in Berlin wurden die Besucher von „Regie 2“ in eine Vorstellung von „Der fliegende Holländer“ der Staatsoper im Schillertheater gekarrt. Die Nacht der Sprünge, die Monster Truck für ihre Münchner Zuschauer auswählte, ist eine Mischung aus Motorsport, Machismo und Artistik sowie ein alljährlicher Lauf zur Europa-Meisterschaft im Freestyle-Motocross.

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Das Fazit zum Eröffnungswochenende von „Radikal jung“ ist einfach: So weit und so radikal hat das Festival der jungen Regisseure noch nie seinen eigenen Kosmos hinter sich gelassen.

Britta Schönhütl: "BRrrrummm...............BRUUMMM! Aus der Verweigerung wird Aufklärung: Regie 2", Festivalzeitung Radikal jung, 24.4.2016

Was ist das Mindeste an Arbeit, das man leisten muss, um noch als Regisseur durchzugehen? Wie faul darf man sein, wie unkreativ und ideenlos? Mit diesen Fragen sah sich die Theatergruppe Monster Truck konfrontiert, als sie über ein mögliches Konzept von "Regie 2" nachdachte. Der Nachfolger von "Regie", bei dem Regie noch als eine Art Wunscherfüllung verstanden wurde, sollte möglichst noch einen Schritt weiter gehen: Doch was ist denn die konsequente Fortführung eines Abends, bei dem drei Menschen mit Down-Syndrom abwechselnd auf dem Regie-Stuhl und in einer Machtposition sitzen, so dass sie machen können, was sie machen wollen - und sich so an ihren Kritikern rächen, die ihnen für das Mongolen-Theater "Dschingis Khan" Entmündi- gung unterstellten. Naja, die konsequente Zuspitzung von totaler Macht ist die Freilassung, wenngleich es auch nur eine vermeintliche ist. Den Zuschauer durch den simplen Bruch seiner Erwartungshaltung so sehr zu verunsichern, dass er tatsächlich beginnt, sich und sein Denkschema zu reflektieren - und plötzlich aus dem Moment herauszoomt und die Ereignisse wie aus der Ferne zu analysieren beginnt: die Wirklichkeit als Stück im Stück, Realität hinter einem unsichtbaren Vorhang.

Aber nun mal konkret: Da treffen sich also rund 100 routinierte Theatergänger im Foyer des Volkstheaters, um der neuen Arbeit von Monster Truck im Rahmen von radikal jung 2016 beizuwohnen. Die Erwartungen sind hoch, die gedanklichen Konstrukte aufgebaut, laut Vorberichten sollen Möbel oder Pflanzen Regie führen – man ist semi erfreut, semi besorgt und leider nur semi wohlig, weil nasse Füße. Noch schnell ein zuckerhaltiges Getränk in Vorbereitung auf den Vier-Stunden- Theater-Marathon und plötzlich ein erstes Innehalten: Wieso grinst die Barkeeperin so verschmitzt, wieso hieß es, die Vorstel- lung wäre ausverkauft, wenn hier gerade mal 100 Leute warten? Wenige Minuten später die Antwort in großen Buchsta- ben auf einer weißen Leinwand: Monster Truck wird keine eigene Regie-Arbeit zeigen, hat aber zwei Busse bereitgestellt, in die man bitte steigen und sich überraschen lassen möge.

Also los geht’s: Aufstehen, Regendusche, Busgeschaukel, Spekulation, Autobahn, Olympiapark?! Dann werden Eintrittskarten verteilt und neben der konkreten Veranstaltung fällt vor allem eines auf: Die neuen Karten sind circa 6-mal so viel wert wie die radikal jungTickets...

Sie berechtigen die etwas bockige Reisegruppe zum Eintritt zur "Night of the Jumps", der Motorrad Freestyle European Championship - einem Motorsport Wettkampf um die waghalsigsten Sprünge. Viele lachen, einige sind offenkundig verstimmt, die einen möchten die Karten mit Profit vor der Halle verkaufen, die anderen surfen bereits auf der Veranstalter-Webseite und lesen sich ein. Und dann steht da diese Gruppe aus Theater-Leuten mit knöchelfreien Hosen, Undercut-Frisuren und schwarzen Harry-Potter-Brillen plötzlich zwischen Motörhead-Shirts tragenden Männern mit dem Riesen-Bratwurst-Hot- dog in der einen und der Motorradjacke tragenden Freundin in der anderen Hand - und vor dem inneren Auge spielt sich die Szene in der Vogelperspektive ab: Welche Welten treffen hier eigentlich aufeinander? Man fühlt sich fremd, wird beäugt und als Gruppe in einen Fankurven-Block in die Arena gesetzt, rund herum 10.000 Menschen, die großteils Experten sind – im Gegensatz zu uns, die ungläubig kichern und starren. Dann geht das Spektakel auch schon los: Motoren rattern, Erde spritzt, Knochen brechen. Was für ein Theater!

Drei Stunden später sitzt nur noch ein Viertel der anfänglichen Gruppe im Pub- likumsgespräch mit Monster Truck, völ- lig erschöpft vom vielen Klatschen und Anfeuern. Kilian Engels, der die Produktion zum diesjährigen radikal jung eingeladen hat, stellt gleich zu Beginn eine wegweisende Frage: Sprechen wir hier über die Rahmung des Abends oder die Erfahrung, die jeder Zuschauer gemacht hat? Monster Truck haben mit der Erwar- tungshaltung des Publikums gespielt, den Kontext ganz grundsätzlich verändert: vom Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nischen-Gruppe hin zum Gefühl des Fremdkörperseins. Sobald der Kontext sich ändert, ändert sich alles – Monster Truck haben keineswegs die Regie und damit die Kontrolle abgegeben, sondern unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit rebootet. Keiner dieser 100 Menschen hätte an diesem Abend diese Erfahrung gemacht, viele hätten sich unter anderen Umständen vielleicht auch nicht darauf eingelassen. Bei Regie geht es darum, Wirkung zu erzielen – und Wirkung wurde auf verschiedenen Ebenen erzielt: ökonomisch betrachtet war der Abend für den Zuschauer ein Tauschhandel, bei dem er Gewinn gemacht hat; gesellschaftlich betrachtet brach der Abend mit Sehgewohnheiten und Selbstverständnis des Zuschauers, der auch hierbei Gewinn gemacht hat.

Was ist also das Mindeste an Arbeit, das man leisten muss, um noch als Regisseur durchzugehen? Wie faul darf man sein, wie unkreativ und ideenlos? Monster Truck waren vielleicht faul und unkreativ, wie sie selbst witzelten, mussten vielleicht auch nicht besonders viel arbeiten, aber sie hatten diese eine grandiose Kantsche Idee: die aufklärerische Entmündigung, um sich des eigenen Verstandes wieder bewusst zu werden. Das ist radikales Theater.