Das Computerspiel Prince of Persia aus dem Jahr 1989 handelt von einem Abenteurer, dessen Name nie genannt wird, der aus dem Abendland nach Persien kommt, um die schöne Prinzessin Farah aus den Händen des Wesirs Jaffar zu befreien. Doch was passiert, wenn der Prinz es nicht schafft, aus dem Gefängnis zu entkommen und die schöne Prinzessin zu retten? Oder wenn am Ende der Reise gar keine Prinzessin mit dunklen Mandelaugen wartet, sondern das eigene ausgemergelte Ebenbild, das sich
beim längeren Betrachten ins Unendliche multipliziert. Nach Äonen von Jahren findet der Held sich allein in einem dunklen Zimmer wieder, in einem Turm ohne Fenster und Türen in der Wüste; neben ihm liegen die abgenagten Knochen von Barbarossa und dem Drachenkönig Zahhak. Wieder steht er am Anfang seiner Reise. Es scheint ausweglos zu sein. Oder doch nicht? Das Abenteuer kann beginnen!
Denn das Böse siegt immer.
Von und mit: Manuel Gerst, Sebastian König, Matthias Meppelink, Sahar Rahimi, Ali Salahi, Ina Vera
Premiere: 28.10.2010, Sophiensaele Berlin
Koproduziert von Sophiensaele Berlin, Mousonturm Frankfurt/Main, FFT Düsseldorf. Mit freundlicher Unterstützung des Goethe-Instituts
Prince of Persia
www.coolibri.de "Bilder zwischen Wehmut und Slapstick" von Nadine Benecke
Beim Betreten des Theatersaals des FFT Juta fällt meiner Begleiterin und mir ein sportlich gekleideter Mann auf, der blond gelockt in einem lila Höschen auf und ab schreitet. Leicht in Wallung geraten setzen wir uns hin. Zum ersten Mal zeigt das FFT an diesem Mittwochabend die deutsch-iranische Koproduktion „Prince of Persia“ von Monster Truck und Charsoo.
Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Computerspiel, dessen namenloser Held die Aufgabe hat, sich aus einem unüberwindbaren Kerker zu befreien und eine Prinzessin zu retten. Der Mann schreitet weiter. Sollte er etwa der sagenumwobene Computerspielheld, der „Prince of Persia“, sein? Wenig später wird klar, der Muskelmann könnte rein optisch tatsächlich einen Helden darstellen, zunächst erzählt er jedoch auf außergewöhnliche Art und Weise die Geschichte des Abends. Er stemmt einen Fernseher über den Kopf und „kommuniziert“ so mit dem Publikum. „Uff, ganz schön schwer“ sorgt für ein beherztes Lachen in den Rängen.
Auf dem Flimmerkasten läuft das Inhaltsverzeichnis des Stückes, beginnend mit der besagten Geschichte eines eingekerkerten Prinzen, der unzählige schwere Aufgaben zu meistern hat, bevor er schließlich ankommt. Auch das Ende des Stückes wird unter Gelächter vorweggenommen: Das Lied „All By Myself“ wird den Tanz des Prinzenpaars begleiten. Der kräftige Mann lässt den Bildschirm fallen und die Bühne wird hell erleuchtet. An einer Art Triangel hängen neun Säcke, die er nun öffnet. Sand. Die Zeit läuft. Wir befinden uns in der Wüste. Das kreisrunde Verließ des Prinzen entsteht, indem der körperlich sehr beanspruchte Mann die hängende Sand-Triangel dreht. Ein kleines Männchen mit schwarzem Umhang sitzt mit einem Bildschirm, auf dem ein Mann in Nahaufnahme zu sehen ist, auf der Bühne. Das Gesicht des körperlich anwesenden Männchens wird von einer glänzenden schwarzen Kugel verdeckt, die unweigerlich Star Wars-Assoziationen weckt. Anscheinend handelt es sich bei dem Mann auf dem Bildschirm um den Prinzen. Fürsorglich kümmert sich das echte Männchen um das virtuelle. Es putzt ihm die Zähne, streichelt die Bildschirmoberfläche und sorgt für gesunde Ernährung. Eine angebotene Möhre quittiert der vermeintliche Prinz allerdings mit „Spucken“ und verzogenem Gesicht. Erbost gibt das Männchen dem Bildschirmmännchen einen Stoß. Immer wieder verschwimmen die Grenzen zwischen den beiden.
Musik im Dreivierteltakt betont die Eintönigkeit des Alltags im „Kerker“. Mit Kreide an die Wand gemalte Striche lassen auf einen bereits längeren Aufenthalt schließen. Laute, reißerische Musik ertönt. Zwei Männer und eine Frau beginnen rasend schnell und sehr humoristisch, die Aufgaben und Hindernisse des Prinzen pantomimisch darzustellen. Wieder gibt ein Bildschirm vor, was zu tun ist: Flucht, Sandsturm, Hyäne, Durst, verirrt, Vögel, Kamel, Eremit, Feindesland. Schließlich endet der Fernseh-Prinz wieder im Kerker. Das schwarze Männchen streitet sich jetzt mit einem zweiten schwarzen Männchen um den Bildschirm. Monster Truck und Charsoo verstehen es, grotesk-geniale Bilder und Stimmungen zu erzeugen, die zwischen Wehmut und Slapstick schwanken. So haut das größere der beiden Männchen dem anderen unverblümt eine Delle ins Kugelgesicht.
Kurz vor Schluss ziehen die Männchen vier weitere Bildschirmprinzen auf die Bühne. Ali Salahi von Charsoo erscheint. Er erzählt auf Farsi eine andere Sicht auf das Ende der Geschichte. Die Bildschirme untertiteln. Der größte Feind des Prinzen, erzählt er singend, ist der Prinz selbst. Denn als er im Palast des Wesir Jaffars, der die Prinzessin gefangen hält, ankommt, begegnet er tausenden von Spiegeln und bezwingt sich schließlich auf martialische Art selbst.
Wie zu Beginn angekündigt endet das Stück also mit dem Lied „All By Myself“. Alle fünf Mitglieder des Ensembles, auch der Muskelmann, tauchen in einem rosa Prinzessinnengewand wieder auf. Die fünf Bildschirme steuern „Die Liebe des Prinzen“ bei. Auch die Sandsäcke sind inzwischen abgelaufen und so endet das Stück nach 50 Minuten in einem fast romantischen Standbild. Monster Truck und Charsoo haben an diesem Abend eine wunderbare und lustige Zusammenarbeit gezeigt, die den Zuschauer verwundert, verzaubert und über alle Maßen erheitert. Sehr gelungen!
www.derwesten.de "Theater trifft Performance bei Prince of Persia im Ringlokschuppen Mülheim" von Tim Walther
Ein PC-Spiel diente als Basis für die Inszenierung - heraus kam eine bildgewaltige Komposition jenseits tradierter Gattungsgrenzen.
Was war das jetzt? Diese Frage mag – im positiven Sinne – den Zuschauern nach der Aufführung von "Prince of Persia" am Donnerstagabend im Ringlokschuppen durch ihre Köpfe gegeistert sein. Bei dem Stück der Gießener Performance-Gruppe "Monstertruck" und des iranischen Theaterensembles "Charsoo" verschmolzen die Gattungsgrenzen bis zur Unkenntlichkeit. Vielleicht gar zu einer neuen eigenständigen Form? Die Inszenierung auf Basis des im Jahr 1989 entstandenen gleichnamigen Computerspiels verwandelten die Akteure in eine sehenswerte bildgewaltige Komposition, die überzeugte – auch ohne Elemente narrativen Sprechtheaters zu enthalten. Der namenlose Held aus dem Okzident, der sich als Spielfigur auf dem PC-Bildschirm gen Orient auf die Suche nach Prinzessin Farah in Persien macht, sitzt völlig vermummt, mit dem Rücken dem Publikum zugewandt, das Gesicht von einer spiegelnden Silbermaske verdeckt und klammert sich an einen Schwarz-Weiß-Monitor. In jenem taucht sein Gesicht mit Blick gen Zuschauer auf. Ein Boxer, der zuvor einen Fernseher in die Luft reckte, auf dem einem Teleprompter gleich die Geschichte in lesbaren Worten läuft, dreht seine Runden und schiebt so ein Rondell an, an dem auslaufende Sandsäcke hängen.
Spiegelbild als Feind
Der Zuschauer weiß angesichts dieser Bilderflut gar nicht, wo er seinen Fokus setzen soll. Unterbrochen wird die Szene durch actionreiches Darstellen von Schlagworten seines Vegetierens in der Wüste. Später erscheint das Spiegelbild des Protagonisten als zweiter Darsteller auf der Bühne. Mit sehr viel Situationskomik steht der Held schließlich am Ende seiner Reise sich selbst als seinem größten Feind gegenüber. Dargestellt wird dies durch immer mehr Spiegelbilder, die als Monitore auf die Bühne gezerrt werden. Vor diesem Endkampf taucht ein Erzähler auf, der in einem Sing-Sang auf Farsi die Handlung rafft.
Doch der "Prince of Persia" begeht einen Fehler: Er sticht auf die Duplikate seiner selbst ein. Die Atari- Fraktion hätte die Lösung gewusst: Schwert einstecken und gewinnen. Stattdessen wird die Komposition ironischerweise mit fünf auftauchenden Prinzessinnen beendet, untermalt von dem Lied "All by myself" von Eric Carmen. Schallendes Gelächter beim Publikum und tobender Applaus. Zu Recht.
http://www.duesseldorf-ist-artig.de von Katja Panyutina
Berauschend – so kann man die Produktionen der Gruppe Monster Truck bezeichnen. Die surrealen Bühnenwelten, bewohnt von seltsamen und oft einsamen Gestalten, machen die Theaterstücke stets zu einem Erlebnis. So auch „Prince of Persia“, das Ergebnis der ersten Zusammenarbeit von Monster Truck und der iranischen Gruppe Charsoo.
Ein schwarzer Turm; Sand rinnt im warmen Scheinwerferlicht herab, rieselt auf die Requisiten, auf die Schauspieler und verwandelt die Bühne in eine Wüstenwelt. Es geht um Helden in diesem relativ kurzen, aber intensiven Schauspiel – speziell um den Abenteurer aus dem titelgebenden Konsolenspiel. Durch die Wüste reisen, Abenteuer bestehen, den Feind besiegen und die geliebte Prinzessin heiraten – ist doch eigentlich klar. Oder? Eben nicht! Denn diese Geschichte ist nur der Rahmen für ein Stück, das in Wirklichkeit den ewigen Kampf eines Menschen mit sich selbst thematisiert.
„Wir haben uns erst (…) die Helden angeschaut in den deutschen Sagen und den iranischen Sagen und in Storys, die uns alle betreffen”, erzählt die Monster Truckerin Sahar Rahimi, „haben dann aber gemerkt, dass es uns mehr interessiert, wie ein einzelner Held eigentlich mit sich selbst kämpft“.
So kreisen sowohl die bildhaften Szenen mit schwarzen gesichtslosen Gestalten und deren flimmernden Fernsehern, als auch die Rahmengeschichte von dem Prinzen, dessen schlimmster Gegner er selbst ist, um die stets präsente eigene Fremdheit, die man nie abstreifen kann; die es unmöglich macht, völlig zu sich selbst zu finden. Den einzigen Ausweg – diese Fremdheit zu akzeptieren – erkennt der Prinz in dem Stück aber nicht. In einer Mischung aus orientalischem Gesang und Sprechen erzählt Ali Salahi (Charsoo), wie dieser im Kampf gegen tausend seiner Spiegelbilder sich selbst zerstückelt.
Der Kampf gegen sich selbst findet aber nicht nur innerhalb der Geschichte, sondern auch direkt auf der Bühne statt. Immer wieder gehen die Schauspieler an ihre körperlichen Grenzen – einen Fernseher hochhalten bis der Körper zittert, oder das ganze Stück lang wie der Esel in einer Mühle die Bühnenkonstruktion drehen. „Das ist das Material, mit dem wir eigentlich arbeiten. (…) Es geht schon darum, sich körperlich rein zu begeben in dieses Setting, was wir geschaffen haben und auch damit zu kämpfen; sich diesen Widerständen auszusetzen …”, so Sahar. „Es ist oft so, dass die Leute sagen, eure Stücke sind anstrengend, sie sind fordernd, es ist manchmal zu viel. Und das ist der Deal, den wir eingehen: Als Publikum müsst ihr euch dem aussetzen, aber wir setzen uns dem genauso aus. (…) Wir gehen auch auf eine Art an Grenzen.“
Ein bewusst sinnliches Erlebnis ist auch die Arbeit mit dem Sand, wie Sahar weiterhin erklärt: „Wir waren letztes Jahr mit der Gruppe im Iran und haben eine Wüstentour gemacht und wir fanden einfach, Sand muss in dem Stück vorkommen. Es ist eben diese Reise, die der Held macht und da musste ich den Sand im Mund haben, dieses Material spüren – es ist ganz wichtig, sich damit auseinander zu setzen.“
Mit sichtlich viel Leidenschaft, Ernsthaftigkeit aber auch Witz und Ironie („All by myself“ als finales Lied) erschaffen die zwei Gruppen auf der Bühne eine eigene Welt für das Thema der Eigenfremdheit. Eine Welt die den Deal, sich ihr auszusetzen, auf jeden Fall wert ist.